Wann ist ein Bild fertig? 10 Tipps, die dich deiner Antwort näher bringen

Diese Frage hast du dir, wenn du auch malst, sicher schon mehr als einmal gestellt, da bin ich mir ganz sicher, denn wir sitzen im selben Boot.

Ist mein Bild jetzt fertig? Ist es so gut genug? Fehlt noch was? Soll ich es so lassen?

Gerade wenn ein Bild schon recht weit vorangeschritten ist und uns einiges darin ganz gut gefällt, ist die Entscheidung, ob beenden oder weitermalen, nicht leicht. Denn was, wenn wir’s dadurch versauen, es „verschlimmbessern“, etwas davon verlieren?

Die Wahrheit ist, das kann passieren, und es gibt keine pauschale Antwort oder Regel, mit der du das immer vermeiden kannst. Trotzdem möchte ich dir auf Grundlage der Erfahrungen aus der Mutmalerei ein paar Gedankenanstöße dazu mit auf den Weg geben, die dich in dieser Situation unterstützen können. Schreib mir im Anschluss gerne einen Kommentar, ob etwas Hilfreiches für dich dabei war oder du auch noch `nen ergänzenden Tipp hast!

Hier sind 10 Tipps, an denen du erkennen kannst, ob dein Bild fertig ist oder du mit deinem Bild:

1. Es gibt nicht DIE Antwort oder Regel wann dein Bild fertig ist, nimm dir Zeit, deine eigene zu finden

      Die Frage sollte eigentlich nicht lauten, wann ist ein Bild fertig, sondern wann ist dein Bild für dich fertig. Ich glaube, theoretisch könnte man endlos lange an einem Bild herummalen. Je länger wir es betrachten, desto mehr fällt uns ein, was wir daran noch verändern, verbessern oder hinzufügen könnten. Spätestens, wenn es Wochen oder gar Monate in unvollendetem Zustand um uns herum ist, kommen immer wieder neue Ideen oder auch kritische Gedanken dazu auf.

      Da ich intuitiv und experimentell unterwegs bin und mich während des Malprozesses von meinen aktuellen Gefühlen, Gedanken und Intentionen leiten lasse, sollte ich ein Bild, das ich „fertig“ stellen möchte, nicht länger als wenige Wochen (besser Tage) stehen lassen. Sonst ist mein Gemütszustand und meine Situation bis dahin eine völlig andere, so dass ich nicht mehr nahtlos anknüpfen kann oder mir das Bild sogar richtiggehend fremd geworden ist. Eine Weiterführung des ursprünglichen Malprozesses funktioniert dann nicht mehr. Es bekommt eine ganz andere Wendung oder wird komplett übermalt und etwas Neues begonnen. Kennst du das auch?

      Für KünstlerInnen, die mehr auf klassischem Wege mit einem Plan und konkreten Arbeitsabläufen unterwegs sind und/oder auf ein bestimmtes, vorher festgelegtes Endergebnis hinarbeiten, ist das vielleicht anders und es lässt sich leichter wieder ins Bild einsteigen und anknüpfen. Dann weiß ich, auf Schritt A folgt B, folgt C, usw. und kann bei Unterbrechung einfach an der passenden Stelle wieder einsteigen, weil klar ist, welcher Schritt danach kommt.

      Wenn du dir unsicher bist, ob dein Bild fertig ist, lass es also erstmal stehen über ein paar Stunden oder Tage. Platziere es so, dass du immer wieder im Vorbeigehen einen Blick darauf werfen kannst, auch nebenbei, ganz unverkopft, da kommen oft die besten Impulse aus dem Bauch raus.

      2. Alles Gefühlssache

      Ob ein Bild für uns fertig ist, ist vor allem ein Gefühl. Furchtbar vage, wenn man auf der Suche nach Orientierung ist, ich weiß.

      Dieses Gefühl, das ich als innere Gewissheit beschreiben würde, wie am richtigen Ort angekommen oder im Einklang mit dem Bild sein, stellt sich leider nicht immer ein. Es ist nichts, worauf ich gezielt hinarbeiten kann, sondern kommt, wenn es denn kommt, als Geschenk daher. Oft schneit es ganz spontan und überraschend herein. Während ich sonst nicht so auf Überraschungsbesuch stehe, ist mir dieser immer willkommen und wird mit offenen Armen empfangen.

      Es ist hilfreich, wenn bereits ein Bild existiert, wo du diese Gewissheit hattest, dann kannst du dieses Gefühl als Referenz nehmen. Auch ein fremdgemaltes Bild, was du als fertig, rund, vollständig und angekommen empfindest, kann dazu nützlich sein, um diesem Gefühl und deinen inneren und äußeren Voraussetzungen dafür auf die Spur zu kommen.

      3. Fertig mit dem Bild ohne fertiges Bild ist total ok

      Es gibt auch den gar nicht so seltenen Fall, dass wir gefühlsmäßig fertig mit einem Bild sind, ohne dass ein fertiges Bild entstanden ist.

      Früher habe ich das als Scheitern, Versagen oder Aufgeben empfunden. Vor lauter Leistungs- und Ergebnisorientierung dachte ich, Malen ist ein möglichst linearer Prozess von A (einer anfänglichen Idee) nach B (einem bestimmten, möglichst gelungenen Zielergebnis). Kein Wunder, dass ich damals den Spaß am Malen und Kreativsein verloren habe. Das ist wie Arbeit unter äußerst unangenehmen Bedingungen mit viel Druck und überzogenen Erwartungen.

      Heute, wo ich vor allem um des Malens willen male und mich am Malprozess selbst mit all den Erfahrungen am Wegesrand erfreue, sieht das ganz anders aus. Dann ist eben kein „Kunstwerk“ für eine Langzeitbeziehung an der Wand entstanden, sondern es war nur eine kurze, möglichst angenehme Begegnung, die zwar kein fertiges Endprodukt hinterlässt, dafür aber den Nachhall eines schönen Erlebnisses mit spannenden (Lern-)Erfahrungen. Das ist wertvoll, fließt ein und bereichert jedes Bild, was noch kommen wird.

      4. Blick durch die neutrale Brille

      Wenn sich das o. g. Gefühl des Angekommenseins nicht mit völliger Gewissheit einstellt, ich das Bild aber trotzdem zu einem möglichst gelungenen Abschluss bringen möchte, trete ich gerne mal aus meiner emotionalen Verbindung ein Stück weit heraus in die Perspektive eines neutralen, wohlwollend-interessierten Betrachters und lenke meine Aufmerksamkeit auf kompositorische Aspekte der Bildgestaltung.

      Wird der Blick gut ins, durchs und auch wieder aus dem Bild geführt und bleibt unterwegs länger dort hängen, worauf ich ihn besonders lenken möchte?

      Ist die ganze Bildfläche interessant, aktiviert oder belebt? Wenn das nicht der Fall und ein Bereich noch ganz unbelebt und langweilig ist, reichen oft schon minimale Veränderungen wie eine dünne Linie oder dezente Farbwiederholung dort, um die Zone zu beleben und ins Gesamtbild zu integrieren.

      Sind die Tonwertunterschiede stark genug, also die Helligkeiten hell und die Dunkelheiten dunkel genug, damit das Bild auch eindrücklich wirken kann? Dazu schaue ich es mir gerne mal in schwarz-weiß an (mit der Kamera-App auf dem Smartphone oder anderen Bildbearbeitungsprogrammen nur einen Klick entfernt). Ist dann nicht bloß grauer Einheitsbrei zu sehen, sondern das Motiv auch ohne Buntheit klar erkennbar, ist das schonmal ein zuverlässiges, gutes Zeichen.

      Welche konkreten Fragen du deinem Bild mit der neutralen Brille auf der Nase in dieser Situation stellen könntest, hängt davon ab, was du gerne wie kommunizieren möchtest, was dir wichtig ist, gefällt, worauf du eben besonderen Wert legst. Das Schöne an solchen konkreten Fragen ist, dass sich darauf meistens auch konkrete Antworten finden lassen.

      5. Die Antwort findet sich oft mehr innen als außen

      Für die Entscheidung fertig oder nicht, achte beim Betrachten weniger auf das Bild, sondern auch mal auf die Resonanz des Bildes in dir. Wechsele immer wieder die Perspektive, schau es dir gedreht, von nah und fern an. Kommen noch Handlungsimpulse auf, Lust und Ideen, etwas damit zu machen? Hast du damit alles gesagt, was du ausdrücken wolltest? Stört dich noch irgendwas (unabhängig davon, ob du es konkret benennen kannst)? Wenn das der Fall ist, bist du damit auch noch nicht fertig.

      6. Grenzen kennenlernen, indem du sie auch mal überschreitest

      Je mehr und länger du malst, desto besser lernst du dich, deinen individuellen Malprozess und auch das Gefühl kennen, wann dein Bild fertig bzw. die Zeit des Aufhörens gekommen ist. Du bist schon oft einen Schritt zu weit gegangen und die Erfahrung hat dich gelehrt, wann es zu viel des Guten wird oder was du vielleicht (noch) nicht kannst.

      Solche Grenzen lernen wir nur dann genau kennen, wenn wir sie auch mal überschreiten und merken, ok, jetzt bin ich drüber. Also ein Grund zum Mutigsein, das Risiko einer Verschlimmbesserung auch mal einzugehen.

      Deshalb arbeite ich so gerne mit Acrylfarben. Die verzeihen so einiges. Eine tolle Idee hat sich als doch nicht so grandios entpuppt und der zinnoberrote Farbfleck gefällt dir doch nicht? Einfach trocknen lassen und drüber malen. Herrlich entspannend, so lässt es sich froh und munter drauflos malen und experimentieren!

      7. Trockenübungen

        Manches lässt sich auch als Trockenübung oder auf Nebenschauplätzen ausprobieren und du musst – Mut hin oder her – nicht gerade bei den letzten Schritten in einem bereits geliebten, so gut wie angekommenen Bild ein völlig neues Experiment mit ungewissem Ausgang machen. Neue Farben, Stifte und Werkzeuge können auf dem ganzen Weg zum Einsatz kommen, aber nicht erstmalig in der allerletzten Phase. Probiere zunächst auf einem Blatt nebenan aus, wie sie sich verhalten.

        Bei Bildern, die mir schon sehr ans Herz gewachsen sind, probiere ich auch gerne mal digital eine Veränderung aus, die mich interessiert. Foto machen, Bildbearbeitungsapps  und -programme aller Art gibt es ja reichlich, einfach mal damit herumspielen, so lässt sich schon Vieles abklären.

        Manchmal male ich auch Papierschnipsel in verschiedenen Testfarben an, lege und schiebe sie auf der Bildfläche in verschiedenen Formen und Größen hin und her, um zu sehen, wie sich die Veränderung in etwa auswirken würde.

        8. Eine Frage der Persönlichkeit

        Bist du sehr detailverliebt und geduldig? Dann wirst du wahrscheinlich länger daran herumfeilen, hier und da noch eine Kleinigkeit an deinem Bild machen, als jemand wie ich. Mir gefällt es, wenn im Bild einiges vage, angedeutet bleibt, um viel Interpretationsspielraum zu belassen. Ich mag, wenn ich beim Malen möglichst lange in einem verspielten, unverkrampften Zustand bleibe und das soll dann auch im Bild spür- und sichtbar sein. Wenn ich anderen beim Malen zuschaue habe ich oft das Gefühl, ein Bild ist (für mein Empfinden) jetzt fertig, aber dann wird es immer weiter ausgearbeitet und gefällt mir weniger als ein Zwischenstadium. Umgekehrt wäre es wahrscheinlich dasselbe.

        Jeder empfindet das anders und die Kunst ist, sich selbst und das eigene Bild in Einklang zu bringen. Das gelingt wie schon gesagt durch Erfahrungswerte immer besser, aber auch durch eine konstante Aufmerksamkeit besonders auch nach innen, nicht nur nach außen aufs Bild gerichtet. Solche emotionalen, inneren Abläufe sind schwer in Worte zu fassen, aber ich hoffe, du bekommst trotzdem eine Vorstellung, was ich meine.

        9. Der Meute zum Fraß vorwerfen

        Meinungen sind wie A****löcher, jeder hat eins. Deshalb schafft es oft mehr Unsicherheit und Verwirrung, wenn wir andere in Bezug auf unser Bild nach ihrer Meinung fragen. Alle oder zumindest sehr viele werden vertreten sein und du bist hinterher nicht schlauer als vorher, eher im Gegenteil kommen plötzlich neue Fragen und Unklarheiten auf, an die du vorher noch gar nicht gedacht hast. Wie oben schon gesagt, ist das alles sehr individuell und nur du kannst das für dich fühlen und entscheiden.

        Andere nach ihrer Meinung fragen, und das ist natürlich nur meine persönliche, würde ich nur ausgewählte Personen mit einer gewissen Distanz, Erfahrung und Expertise zum Thema deiner Frage.

        Am besten die Frage ist möglichst konkret, dann bekommen wir auch konkretere und damit hilfreichere Antworten.

        Es gibt auch den Fall, da steht für mich die Entscheidung schon innerlich fest und ich möchte der Neugier halber einfach mal wissen, was andere dazu sagen. Dann frag ich auch mal breiter, weil mich dann die Antwort, egal wie sie ausfällt, nicht mehr durcheinanderbringt.

        10. Empfängst du noch Energie vom Bild?

          Bilder schenken uns Energie. Da gibt es einmal die inspirierende, vorantreibende Kraft, die wir beim Malen so lieben. Aber auch die weniger beliebte blockierende Energie zeigt uns, dass es sich lohnt, an dieser Stelle nicht gleich umzukehren oder einfach ins nächste Bild zu springen, sondern sich Zeit zu nehmen, diese schwere Phase zu überwinden.

          Danach fließt es nur umso befreiter und stärker aus uns hervor und wir werden mit den tollsten Bildern belohnt. Vielleicht sind sie gerade deshalb oft die besten, weil sie so vollständig sind und alle Energien vereinen. Ich glaube, wenn du noch Energie vom Bild empfängst, egal welche Qualität diese hat, bist du noch nicht fertig damit. Im blockierten Fall, schmeiß also das Bild nicht gleich in die Tonne, sondern mache im Bild eine mutige Aktion, bringe etwas Neues als ersten Impuls zum Weitermalen hinzu. Ob Kritzellinie oder Farbklecks, eigentlich egal, was es ist, Hauptsache, du kommst innerlich und äußerlich wieder in Bewegung.


          Sollte nur eine Sache bei dir hängen bleiben, dann hoffentlich die:

          Vergiss nicht, dass beim Malen nicht immer ein „fertiges“ Bild oder „Kunstwerk“ entstehen muss. Die Stunden, die du mit deinem Bild verbracht hast, sind voller Erfahrungen, Erlebnisse, Eindrücke und Erkenntnisse. Das ist Qualitätszeit für dich, die nicht weniger wertvoll ist, nur weil du am Ende kein fertiges Produkt hergestellt hast.

          Es klingt ein bisschen paradox, aber je weniger wir versuchen, ein möglichst gutes, fertiges Werk zu erschaffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau das gelingt. Wir sind dann frei, locker, unverkrampft, nicht so verbissen und starr, haben keine Angst, etwas auszuprobieren. Wir malen viel freudvoller, deshalb auch viel öfter, sammeln haufenweise Lernerfahrungen, entwickeln unseren eigenen Malprozess, mit dem wir uns wohlfühlen, bekommen ein immer feineres Gespür für uns, unser Tun und auch unsere Bilder. Und dann, nicht immer, aber immer öfter, entstehen tolle Bilder, mit denen wir uns rundum wohlfühlen.

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