Besser décalcomanisch als depressiv
Einigen von euch ist vielleicht schon aufgefallen, dass die Décalcomanie (eine künstlerische Farbabklatschtechnik, auch Klecksographie genannt) mich seit einiger Zeit fest in ihren Fängen hat und nicht mehr loslässt. Ich nenne es scherzhaft meine décalcomanische Episode.
Keine Sorge, das was nach psychischer Erkrankung klingt, erlebe ich durchaus positiv und bin froh, dass ich in diesen herausfordernden Zeiten die Mutmalerei als Tool zur kreativen Selbstfürsorge an meiner Seite habe. Besser décalcomanisch als depressiv, oder? Wann immer es mir nicht so gut geht, nutze ich die Kleckserei, um auf andere, vor allem konstruktivere Gedanken zu kommen, was in den meisten Fällen auch gut funktioniert.
Malen mit dem Zufall
Bei den Zufallstechniken oder auch aleatorischen Verfahren in der Kunst wird der Zufall als bildgebendes Element zur Gestaltung eingesetzt. Einfach mal machen, spielen, experimentieren und mit dem arbeiten, was dabei entsteht. Die zufälligen Ergebnisse auf sich wirken lassen und dann die eigene Wahrnehmung und damit sich selbst ins Spiel bringen.
So entstehen spannende Bilder, die auf plan- und absichtsvollem Wege niemals das Licht der Welt erblickt hätten. Einstein hatte Recht damit, dass die Dinge dann besonders sind, wenn sie sich nicht berechnen lassen.
Die Décalcomanie ist nur eine unter den Zufallstechniken. Es gibt viele weitere Ideen, um den Zufall beim Malen mit einzubeziehen. In „Zufallstechniken – Macht und Zauber des Zufalls in der Mutmalerei„ habe ich einige davon vorgestellt, dort findest du vielleicht auch deine neue Lieblingstechnik. Wobei Technik viel zu ernst und nach harter Arbeit klingt, im Grunde ist das Ganze ein großer Spaß, eine Spielwiese voller Möglichkeiten, auf der du dich nach Herzenslust austoben kannst. Je mehr es gelingt, dich dabei fallenzulassen und ohne Erwartungen und Bewertungen dem kreativen Flow zu folgen, desto größer der Spaßfaktor. Den ein oder anderen Erkenntnisgewinn über dich selbst und das Leben an sich gibt es als Extra obendrauf.
Ich werde mal erzählen, warum ich persönlich so gerne mit Zufallstechniken male, denn vielleicht bringt dich das auf die gar nicht so dumme Idee, es auch mal zu probieren. All diese Zeilen sind für dich, wenn du endlich deine Ängste und Selbstzweifel überwinden und selbst malen möchtest, obwohl du bisher geglaubt hast, dass du nicht malen kannst und kein Talent dafür hast. Du brauchst nur den Mut, es einfach zu tun, und ein bisschen Spieltrieb schadet dabei auch nicht.
Auch wenn du schon länger malst, dich aber gerade blockiert, ideenlos und leer fühlst, sind die Zufallstechniken super geeignet, um die Angst vor der weißen Leinwand zu überwinden und wieder ins Tun bzw. Malen zu kommen.
Ich liebe das Malen mit dem Zufall, weil…
…ich dabei nicht denken muss.
Beim Malen möchte ich mal raus aus dem Gedankenkarussell, den Kopf wieder frei kriegen und zur Ruhe kommen. Hier kann ich einfach zufällig und intuitiv vor mich hin werkeln und klecksen. Alles darf sein und ist gut wie es ist. So wie der tiefenentspannte Gorilla („Chiller Gorillla“) im Bild oben. Ich liebe ihn!
…ich dafür keinen Plan, keine Idee und keinen Musenkuss brauche, sondern jederzeit direkt loslegen kann.
Früher habe ich viel Zeit mit dem Warten auf eine glorreiche Idee verplempert und dann entweder gar nicht gemalt oder mich geärgert, weil die Idee sich später als doch nicht so glorreich herausgestellt hat. Ich dachte, ich müsse doch vorher genau wissen, wo es hingehen soll, bevor ich mich auf den Weg mache. Aus heutiger Sicht ein verrückter Gedanke, über den ich nur schmunzeln kann.
…dabei glückliche Zufälle entstehen.
Der Zufall führt mich an Orte, da wäre ich mit der Vernunft niemals hingekommen. Dort ist es echt cool, zumindest niemals langweilig. Außerdem lerne ich, dabei achtsam zu sein, aufmerksam zu beobachten und verschiedene Perspektiven einzunehmen, um die glücklichen Zufälle überhaupt zu bemerken. Indem ich beim Malen meinen Blick dafür schärfe, gelingt oder passiert es mir auch im Alltag viel häufiger, dass ich mich an unscheinbaren Kleinigkeiten erfreue, an denen ich sonst achtlos vorbei geeilt wäre.
…es sich jedes Mal wie das Öffnen einer Wundertüte anfühlt.
Früher gab es in unserem kleinen Dorfladen Wundertüten zu kaufen. Es stand nichts drauf und man wusste nie, was drin war. Meistens ein Mix aus Spielzeug und Süßigkeiten. Ich habe sie geliebt und meinen Opa meistens überzeugen können, mir eine zu kaufen. Diese Spannung beim Aufreißen war einfach großartig und mehr wert als der Inhalt an sich. Beim Malen mit Zufallstechniken ist es ähnlich. Du bringst zufällig Farbe aufs Papier, spritzt, tropfst, bläst sie auseinander, drückst Folie auf, faltest das Papier, usw. und lässt dich überraschen, was dabei entsteht.
…ich dadurch lerne, spontan und intuitiv auf eine neue Situation zu reagieren.
Im wahren Leben läuft es nicht immer wie geplant und es kommt anders als wir gedacht haben. Wir können uns darüber aufregen, uns ärgern, daran verzweifeln, aber das alles bringt nichts. Wer die Dinge annehmen kann wie sie nun mal sind und in der Lage ist, das Beste aus einer Situation zu machen, kann sich glücklich schätzen. Ich arbeite daran und bin mir sicher, dass die Trockenübungen beim Malen, mich da schon weiter gebracht haben. Da ist aber noch ordentlich Luft nach oben und damit Grund zum Malen.
…ich dabei leicht in den Flow komme.
Go with the flow. Das sagt sich so leicht. Was ist das überhaupt, dieser Flow? Wikipedia sagt: „Flow bezeichnet das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht.“
Beim intuitiven Malen mit Zufallstechniken erreiche ich diesen beglückenden Zustand oft. Ich muss nicht mal viel dafür tun, eher weniger. Beim planvollen Malen und Zeichnen ist der Kopf in vorderster Front dabei. Der gleicht ständig Soll- und Ist-Zustand ab und bewertet jeden einzelnen Strich. Das ist ganz schön anstrengend und nicht gerade freudvoll, insbesondere dann, wenn die eigenen Erwartungen und Ansprüche so gar nicht mit der Realität übereinstimmen.
Der Zufall hat keinen Plan und muss deshalb auch keinen Ansprüchen genügen, somit gibt es auch keine Enttäuschungen. Wir können ganz im Hier und Jetzt sein und stehen in enger Verbindung mit unseren Gefühlen, unseren inneren Bildern, es passt einfach alles und ist gut so wie es ist. Nichts ist falsch oder bedarf einer Korrektur, deshalb brauche ich auch nicht vorsichtig zu sein aus Angst, einen Fehler zu machen. Ich kann mich ganz meiner Intuition hingeben und mich treiben lassen. Let it flow!
…jeder jederzeit auf diese Art kreativ sein kann.
Es braucht keine großartigen Ideen, kein besonderes Talent oder anderes Zeug, von dem viele glauben zu wenig oder zu viel zu besitzen. Niemand sollte sich durch sowas vom Malen abhalten lassen! Jeder kann malen und kreativ sein und ich möchte jeden ermutigen, der sich zu einer schöpferischen Tätigkeit hingezogen fühlt, dem nachzugehen.
Es geht nicht immer nur um Leistung und wer was besser kann. Beim Malen darfst du dir sämtliche Freiheiten herausnehmen und musst dich an keine Regeln halten. Für die einen fühlt sich das nach großer Freiheit an, für andere eher einschüchternd, weil sie das Gegenteil gewohnt sind und gelernt haben. Ich wünsche allen den Mut, diesen Freiraum auch für sich zu nutzen. Malen ist ideal dafür, um das in einem geschützten Rahmen im Kleinen auszuprobieren.
Mit jeder positiven Erfahrung und jeder überwundenen Angst, wirst du stärker und mutiger und das wird sich über kurz oder lang auch in anderen Lebensbereichen zeigen. Wichtig: Vergleiche dich nicht mit anderen. Deine Eigenarten machen dich und deine Kunst einzigartig!
…es jedes Mal wieder aufregend ist, was wohl entstehen wird, und jedem dieser Anfänge der berühmte Zauber innewohnt.
Immer wieder neu, anders, aufregend, interessant, niemals langweilig. Ich kann mir immer wieder diesen Kick des Anfangszaubers geben. Es muss danach nicht zwingend weiter gehen mit dem Bild, nichts muss zu Ende gebracht werden und wer A malt muss nicht auch B malen. Manchmal mache ich einen Farbabklatsch nach dem anderen und vertiefe mich in den Anblick der wundersamen Strukturen. Ich betrachte, assoziiere, gehe in Kontakt mit meinem Bild und weil es so einfach und unkompliziert ist, kann ich noch eins machen und noch eins und noch eins. Dann sind Stunden vergangen und ich sitze glücklich und zufrieden zwischen einem Haufen Klecksbildern. Die meisten hebe ich übrigens auf. Vielleicht mag ich sie später noch etwas ausgestalten, eine Collage daraus machen, Texte dazu schreiben oder, oder, oder.
…es hilft, Perfektionismus, Ergebnisorientierung, Leistungsdenken, Kontrolle usw. abzulegen und den inneren Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Wenn ich merke, dass die oben genannten Dinge in meinem Alltag wieder überhandnehmen, ist das Malen mit Partner Zufall an meiner Seite eine gute Möglichkeit für eine Auszeit davon. Das war aber nicht immer so, weil ich all das früher mit in meine Malzeiten genommen habe. Leider hat das dazu beigetragen, dass ich weniger Freude am Malen hatte und es deshalb auch seltener getan habe.
Lass dich deshalb nicht vom Malen abbringen, wenn du die beschriebenen positiven Effekte nicht direkt von Anfang an so erlebst, sondern vielleicht sogar eher das Gegenteil der Fall ist. Das ist ganz normal, schließlich nimmt man sich selbst überall hin mit. Es bedarf einer bewussten Entscheidung und regelmäßiger Praxis, deshalb empfehle ich auch immer wieder, am besten täglich zu malen und sei es auch nur eine kleine Kritzelei beim Telefonieren.
Bei negativen Gedanken mache dir immer wieder die Gründe bewusst, warum du malen oder anderweitig kreativ sein möchtest. Tust du es für dich (um zu entspannen, Spaß zu haben, deinen Gefühlen Raum zu geben, füge hier deine persönlichen Gründe ein) oder für andere (um zu gefallen, um Lob und Anerkennung für gute Leistungen zu erhalten, usw.)?
…mich die inneren Bilder, die dabei sichtbar werden, begeistern und auf neue, gute Gedanken bringen.
Es gibt Tage, da drehen sich die Gedanken im Kreis. Im Zentrum des Denkens stehen dann meistens nicht gerade die guten Sachen, sondern irgendwelche Probleme oder Unzufriedenheiten. Auch wenn ich Fahrgeschäfte liebe, möchte ich aus dem negativen Gedankenkarussell doch lieber aussteigen. Das ist im Alltag und ganz besonders in Zeiten wie diesen nicht so einfach, wenn sich alles in Endlosschleife zu wiederholen scheint und die Möglichkeiten, sich auf andere Gedanken zu bringen, begrenzt sind. Da kommt das intuitive Malen mit den Zufallstechniken gerade recht. Malzeug schnappen, losklecksen, Spuren auf dem Papier hinterlassen, schauen was entsteht, Assoziationsketten dazu bilden und früher oder später bin ich dann mit den Gedanken woanders, manchmal sogar im Flow.
Alles beginnt mit einem ersten Schritt. Du hast jetzt auch Lust auf Zufallstechniken bekommen, möchtest tiefer in die Mutmalerei eintauchen und dir mit einer neuen, kreativen Routine etwas Gutes tun? Die „Glücklichen Zufälle“ unterstützen dich bei deinem Mutausbruch!
Ganz viel Spaß und Mut bei deinem kreativen Tun und überhaupt!
Katrin
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