Décalcomanie – Wie der zufällige Abdruck deine Kunst und Kreativität beflügelt

Meine Begeisterung für Zufallstechniken beim Malen, zu denen auch die Décalcomanie gehört, habe ich bereits vielfach zum Ausdruck gebracht. Das intuitive Malen mit Zufallstechniken hat mich wieder in Verbindung zu meinem inneren Künstler gebracht, mich auf kreativer und persönlicher Ebene bereichert, so dass ein ganzer Onlinekurs, die „Glücklichen Zufälle“ daraus entstanden ist. Nun stecke ich schon eine ganze Weile in einer „décalcomanischen Phase“ und müsste ich mich für nur eine Zufallstechnik entscheiden, was glücklicherweise nicht der Fall ist, wäre es die Décalcomanie.

Kürzlich ist mir dann ein alter Zeichenblock mit recht glattem, wenig saugendem Papier in die Hände gefallen und ich habe mich darüber geärgert, dass die Schrift auf dem Papier so lange braucht bis sie trocknet und ständig verschmiert. Zum Beschreiben nicht geeignet wollte ich den Block aber nicht wegwerfen und so kam ich auf die Idee, mich mal wieder in der Décalcomanie zu versuchen, weil das gerade mit glattem Papier gut funktioniert. Und schwups war der halbe Block vollgekleckst und über eine Stunde vergangen wie im Flug. Ein klares Zeichen dafür, dass mich der Flow mal wieder mitgerissen hat, ganz unbemerkt. Es war herrlich, mal wieder so richtig abzutauchen in das kreative Tun und mich in all die märchenhaften Abziehbilder zu vertiefen, die dabei entstanden sind.

Eine märchenhafte Landschaft.

“Fernweh”

Erst konnte ich mit den flächigeren Strukturen nicht so viel anfangen, aber auf den zweiten Blick habe ich diese traurige Szene in dem Farbklecks entdeckt. Was sich mir offenbart, mache ich spontan sichtbar, unabhängig davon, ob es “schön” ist.

Was ist Décalcomanie?

Décalcomanie ist eine Art Farbabklatschverfahren und gehört in den Bereich der Monotypien, ohne dass aber gezielt ein bestimmtes Motiv dargestellt werden soll. Stattdessen gestalten der Zufall und das Unterbewusstsein des Künstlers durch die spätere Ausarbeitung das Bild. Der surrealistische Maler und Bildhauer Max Ernst hat beispielsweise einige interessante Décalcomanien geschaffen.

Meine Lieblingsbilder von ihm sind beispielsweise „Epiphanie“, „Das Auge der Stille“ oder Europa nach dem Regen. Schade, dass der gute Max und ich uns hier knapp verpasst haben. Als ich 1977 das Licht der Welt erblickte, war er schon weg und aus dem kleinen Plausch im Atelier wird wohl nichts.

Hier findest du zur Inspiration einen schönen Überblick über seine Bilder, die oben genannten sind auch dabei. (Klick auf den Textlink.)

Vorgehensweise bei der Décalcomanie

Nasse Farbe wird mit einem Pinsel oder anderweitig auf einen glatten Untergrund aufgebracht, z. B. auf (Acryl-)Glasscheibe oder Folie. Am besten in unterschiedlichen Stärken mit viel oder wenig Farbe, mal mehr, mal weniger feucht, um später eine Vielfalt an zufälligen Strukturen und visuellen Texturen zu erhalten.

Dann legt man einen Papierbogen darüber und drückt, reibt, wischt oder kratzt mit der Hand oder einem Gegenstand darüber, solange die Farbe noch feucht ist. Wenn das Deckblatt dann wieder nach oben von der Unterlage abgezogen wird, entstehen sehr spannende Strukturen, deren Ausdeutung nun ganz im Auge des Betrachters liegt. Das Ganze kann mehrfach wiederholt werden, um mehrere Schichten übereinander zu legen. Bei mehreren Abziehvorgängen nacheinander empfiehlt es sich, das Bild zwischenzeitlich zu trocknen, wenn ein Klecks besonders gut gelungen ist und gefällt, damit man die Strukturen im nächsten Durchgang nicht wieder zerstört. Alternativ kann man das Papier auch mittig falten, die Farbe auf eine Seite auftragen, zuklappen, wieder aufklappen, fertig. Die so entstandenen Bilder sind symmetrisch und ähneln denen aus dem bekannten Rohrschach Test.

Der spannendste Moment ist für mich der, wenn nach dem Abziehen des Deckblattes erstmals der Blick auf das zufällig entstandene Motiv trifft und vor unserem Auge märchenhafte Landschaften, phantastische Welten und die merkwürdigsten Figuren auftauchen. Diese gilt es dann sichtbar zu machen auf ganz persönliche Art und Weise, sei es mit Fineliner, mit Lasuren oder indem du den Hintergrund übermalst. Deine Stimmung, Persönlichkeit, Erfahrungen, Gefühle, Erwartungen, Phantasie, das alles fließt in diesen Gestaltungsprozess mit ein. Deine ganze eigene Interpretation der Farbkleckse.

Probiere es einfach mal aus mit einer nassen Farbe deiner Wahl. Ich arbeite am liebsten mit Acrylfarben, Aquarell- und Wasserfarben sind hierfür aber auch geeignet. Wenn du eher wolkenartige, weiche Strukturen magst, arbeite etwas feuchter. Beim Einsatz von weniger Wasser entstehen klarere, stärker abgegrenzte und kleinteiligere Strukturen.

Nutze ein möglichst glattes, nicht stark saugendes Papier, mit Steinpapier oder Yupo funktioniert das wunderbar, alternativ kannst du auch ein dickeres Zeichenpapier verwenden und die Fläche zunächst mit Acrylbinder versiegeln. Auch die unbedruckte Rückseite von Kalenderblättern eignet sich gut, habe ich festgestellt.

Aber wie immer, wenn du etwas ausprobieren möchtest gilt: Anfangshürde niedrig halten. Nimm einfach das, was du da hast oder günstig und schnell besorgen kannst. Hauptsache machen! Wenn du merkst, diese Technik ist was für dich, kannst du immer noch investieren.

Vorsicht, der Suchtfaktor ist echt hoch! Aus den entstandenen kleinen Kostbarkeiten lassen sich wunderbar Postkarten, Tischkarten, o. ä. gestalten. Schön gerahmt mit Passepartout, evtl. als kleine Serie mit ähnlichen Farben und Motiven, sind die Décalcomanien auch eine tolle, individuelle Wanddekoration.

Vorteile der Décalcomanie beim intuitiven Malen

Kreativität und Spontaneität:

Die Décalcomanie ermutigt dich als Künstler, dich dem Fluss des Zufalls hinzugeben und dich auf eine spontane Gestaltung des kreativen Prozesses einzulassen. Gerade, wenn du sonst sehr kontrolliert, planerisch und perfektionistisch vorgehst, nimmst du daraus viel Neues für dich mit. Die unvorhersehbaren Muster und Strukturen fordern deine Vorstellungskraft heraus und dienen als Ausgangspunkt für die weitere Arbeit an und mit dem Bild.

Loslassen von Kontrolle:

Die Décalcomanie erfordert wie alle Zufallstechniken, dass der Künstler einen Teil der Kontrolle abgibt und sich auf den Zufall einlässt. Du lernst auf den Prozess zu vertrauen und darauf, dass du mit allem, was da zufällig vor dir auf dem Papier passiert, umgehen kannst. Deine Intuition wird dich wissen lassen, was zu tun ist. Diese freie Herangehensweise ans Malen kann befreiend sein und neue Wege für deine persönliche Ausdrucksfähigkeit eröffnen.

Inspiration und Herausforderung:

Die unerwarteten Muster, die durch die Décalcomanie entstehen, können als Inspiration für weitere künstlerische Ideen dienen. Die Abzugbilder können für sich stehen, aber auch je nach deinen Interessen und Vorlieben weiter ausgestaltet werden. Anfangs wird dich das zufällige Vorgehen vielleicht sehr fordern und aus der Komfortzone bringen, je nachdem aus welchem Bereich du kommst, aber es ist immer eine Bereicherung neue Techniken auszuprobieren und sie bei Gefallen in die eigene Bildsprache zu integrieren.

Einblicke in das Unbewusste:

Wie Max Ernst betonte, kann die Décalcomanie eine Art seherische Methode sein. Sie ermöglicht den Zugang zu den Tiefen des Unbewussten und kann somit eine Möglichkeit bieten, innere Emotionen und Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Es ist erstaunlich, dass man in den puren Farbabzügen je nach Stimmung und Situation immer wieder neue Dinge in demselben Zufallsbild entdecken kann.

Die Décalcomanie ist eine faszinierende und inspirierende Technik, die es dir als Künstler ermöglicht, sich dem Zufall hinzugeben und neue kreative Wege zu beschreiten, wenn du bisher eher auf planerischen Pfaden gewandelt bist. Insbesondere in Bezug auf das intuitive Malen ist die Décalcomanie eine bereichernde Erfahrung, die dazu ermutigt, sich von Kontrolle und Erwartungen zu lösen und die kreative Reise ins Unbekannte anzutreten. So wird der innere Kritiker und Perfektionist in die Schranken gewiesen. Wenn du also auf der Suche nach einer neuen künstlerischen Herausforderung bist oder einfach deine Bildsprache um diese faszinierende Technik erweitern möchtest, probiere es am besten gleich mal aus.

“Zufälle sind unvorhergesehene Ereignisse, die einen Sinn haben.” Das wusste schon der gute Diogenes von Sinope (um 400-323 v. Chr.).

Viele Grüße aus der Mutmalerei!

Katrin

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